13
Aug
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Ein U-Boot-Christ taucht auf.

Zugegeben, ein vorzeige Christ war ich nie; werde ich auch wohl nie sein. Dafür bin ich zu politisch. Aber nach mehr als 5 Jahren in Dortmund zog es mich dann doch wieder in die Messe. Ein kurzer, innerlicher Disput entstand. Sonntags um 10? Samstags um 18:00? Die Entscheidung war gefallen. Am darauf folgenden Samstag ging es in die Sankt Gertrudis Kirche. Weiß verputzt von außen; funktionaler Baustil; für eine Kirche verhältnismäßig jung. Ich kenne den Bau seit einigen Jahren und war doch nie drinnen. Vielleicht, weil ich in meiner Schulzeit in jede Kirche rennen musste, die es auf jedem Wandertag zu passieren gab. Vielleicht auch, weil die Kirchen in Dortmund allzu oft nur offen sind, wenn in ihnen eine Messe, Veranstaltung oder ähnliches stattfand. St. Gertrudis also war eine katholische Landmarke in einer protestantischen Dortmunder – nein eher muslimischen Nordstädtischen Gesellschaft.
Ich suchte also mein Gotteslob heraus und machte mich auf den Weg. Von weitem waren die Glocken zu hören. Zumindest die ersten Schritte. Etwa 15 Minuten vor Messebeginn, ich war gerade knapp 100m unterwegs, hörten sie plötzlich auf. Gottes stetige Einladung hört einfach auf. Hektisch schaute ich auf die Uhr. Zu spät war ich nicht. Dauerte das Läuten nicht bis kurz vor dem Beginn der Messe? Wollte Gott meinen Entschluss testen? Ich ließ mich also nicht von meinem Wege abbringen! Stattdessen beschleunigte ich meinen Schritt und kam nach weiteren 400m an der St Gertrudis an.
Ein Lämpchen durch ein Fenster leuchtete. Die Messe schien stattzufinden. Ich versuchte hineinzukommen. Bei der 5ten Tür klappte es. Die sechste war auch auf; Flügeltüren. Was ein Glück. Ich war pünktlich und habe die Hürde des Hineinkommens mit Applaus bewältigt. Ich verließ das Foyer und betrat das Kirchenschiff. Leer. Also fast. Möbel und Bilder waren schon da. Menschen eher nicht. 12 zählte ich. Und da geschah es. Es stand mir und meinem Schritt im Weg. Plötzlich war es einfach da. In der Mitte des Ganges: Jenes Becken mit jenem Wasser, mit welchem sich die Kirchgänger bekreuzigen, wenn sie eine Kirche betreten. 24 Augen schauten mich an. Ein Glück, es war massiv; zumindest massiv verankert und wackelte nicht. Es war keine Schale voll Wasser. Es war ein Brunnen. Mulde, Stein drauf, Wasser aus dem Stein kommend. Modern.
Aber seit wann werden solche elementare Bestandteile plötzlich als Zimmerbrunnen aufgebaut? Dann auch noch mitten im Wege? Ich war irritiert, traute mich nicht, die Bekreuzigung durchzuführen. Schon wieder böse Blicke. Der Küster ordnete die roten Gotteslob Bücher und ließ mich offensichtlich nicht aus den Augen. Ich suchte mir eine Bank (aus). Im hinteren Teil des zweiten Drittels. Ich hatte die Hoffnung, dass weitere Kirchgänger kommen würden und sich vor mir hinsetzen würden. Da war es wieder. Dieses Missverständnis. Es kamen weitere Menschen; sie setzten sich jedoch in meinem Rücken. Also direkt hinter mich. Ich saß quasi in der 10ten Reihe und doch direkt vor dem Altar.
Welch ein Luxus. Freie Platzwahl, freier Blick und keine Enge. Aber es half mir nicht. Ganz rechts außen, in meinem Augenwinkel saßen drei weitere Menschen. Sie sollten mein Anker sein. Eine von diesen dreien war auch noch mobil. Sie sollte mir helfen, wenn ich es wieder durcheinander bringen sollte: Stehen, Sitzen, Stehen, Stehen, Knien, Stehen, Stehen, Knien, Sitzen? Ach ich habe es nie drauf gehabt. Bis heute war es auch nicht notwendig. Die Kirchengemeinden im Osnabrücker und Emsland wussten immer vorauseilend, was zu tun war. Ich brauchte mich also nur zu orientieren. Jetzt fühlte ich mich jedoch beobachtet. Die Altarbelegung vor mir ließ mich nicht aus den Augen (ich war auch wohl der jüngste) und das atmende Pärchen räusperte immerzu in meinen Nacken.
Nun gut. Ich wollte wieder in die Messe und durch die zahlreichen Kommunions- und Firmunterrichtsstunden musste schließlich irgendetwas hängen geblieben sein. Intuitiv ging ich die Sache an. Ich kannte das erste Lied und freute mich, der Melodie folgen zu können. Das Ehepaar in meinem Rücken sang spontan auch so laut, dass ich gar meine Stimme an ihrem Gesang anlehnen konnte. Der Start ist geglückt. Nun konnte es weitergehen. Doch nach zahlreichem Singsang – ich behaupte die Diözese Osnabrück ließ deutlich weniger singen – begann ich zu stolpern. Der Pastor erwartete auf so manchen Ausspruch eine Reaktion der Gemeinde. Ich tat, was ich erlernt hatte. Doch entweder fehlte mir grundsätzlich ein Wort, was nur das Paar in meinem Rücken auffiel, die daraufhin kommentierten, dass ich bald einschlafen würde (!), oder ich ein Wort zu viel sprach, was wiederum der versammelten Gemeinde auffiel. Das zog sich so denn auch durch die komplette Messe; von meinem großartigen Gesang ganz zu schweigen.
So siezte ich, als ich hätte duzen müssen. Ich verweigerte einen Knick, als ich hätte Knicksen müssen. Ich setzte mich, als ich mich hätte knien müssen. Ich sang die erste Strophe, als es die dritte zu singen galt. Ja und vollkommen aus der Fassung geriet ich, als der Pastor vorne am Ende seiner Fürbitten für die Diakone und angestellten der Gemeinde und Kämpfer für den katholischen Glauben seiner Gemeinde einen schönen Samstagabend, einen ruhigen Sonntag und eine gute Woche wünschte. Zu allem Überfluss antworte der Mann des Ehepaares hinter mir lautstark mit echter Ruhrpottbetonung „Danke, gleichfalls“. Mein Mund schwieg, mein Körper jedoch reagierte: ich hob die Hand und machte eine stumme, zustimmende Bewegung.
Dann war es vorbei. Ich verließ die Kirche mit einem Knicks zu viel, fingerte in dem Zimmerbunnen und bekreuzigte mich ein letztes Mal und stand vor der Kirche.

In diesem Sinne: Friede sei mit Ihnen!


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